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fühlen. Ich stand auf der Veranda vor dem Haus und kramte nach
meinem Schlüssel, als die Tür aufgerissen wurde. Mom stand vor mir
wie eine wütende Medusa. Ihre Locken wogten wie Schlangen um
den Kopf und ihr Blick war bereit, mich in Stein zu verwandeln. Rote
Linien durchzogen das Weiße ihrer Augen wie feine Blitze.
»Mach, dass du reinkommst«, sagte sie und zeigte ins Innere des
Hauses. Dabei riss sie den Arm so heftig hoch, dass ich dachte, sie
würde sich gleich die Schulter auskugeln. Sie winkte Drakes Eltern
zu, dann schloss sie die Haustür.
»Es reicht, Celia! Ich bin fix und fertig!«
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Es war so klar, dass ich nicht zu Wort kommen würde. Darum ver-
suchte ich es nicht einmal.
Kleinlaut trottete ich zur Couch und sank hinein. Meinen Rucksack
ließ ich einfach auf den Boden fallen. Wenn ich doch nur winzig
genug gewesen wäre, um mich unter einem Sofakissen zu
verkriechen! Mom lief im Zimmer auf und ab.
»Dora hat mich im Krankenhaus angerufen und mir gesagt, dass
du abhauen wolltest. Ich habe versucht, dich zu erreichen, und als du
nicht ans Telefon gegangen bist, bin ich voller Panik nach Hause ge-
fahren. Ich habe alle möglichen Leute angerufen deinen Dad,
Drakes Großmutter, die Polizei. Du kannst dir gar nicht vorstellen,
welche Sorgen wir uns alle gemacht haben.« Ihre Augen glommen
vor Wut. Wie Glühlampen oder Brenneisen. Fast hätte sie mir durch
ihren Blick eine Brandverletzung zugefügt.
Ich sagte nichts.
»Celia!« Mein Name fiel wie ein Stein aus ihrem Mund. »Hast du
das getan, weil du denkst, ich hätte einen Freund?«
»Nein«, antwortete ich mit einem Schulterzucken.
»Diese Antwort reicht mir nicht«, erwiderte sie. »Und Schul-
terzucken, Kann sein oder Keine Ahnung ebenso wenig. Ich weiß,
dass die Trennung für dich sehr schwer ist, und seit dein Vater aus-
gezogen ist, habe ich mich wirklich bemüht, verständnisvoll zu sein
und dich in Ruhe zu lassen. Aber jetzt weiß ich nicht mehr, was ich
noch tun soll. Findest du es so schrecklich, mit mir zusammenzu-
wohnen?« Sie ließ sich in den Sessel fallen und schlug ihre Hände
vors Gesicht. »Ist es das? Sag etwas!«, verlangte sie.
Es tat mir weh, meine Mutter so verzweifelt zu sehen, aber ich bra-
chte es nicht fertig, sie zu trösten. »Ich hab ne ganze Menge gesagt.
Ich habe dich angebettelt, dass du mich nach Atlanta ziehen lässt. Ich
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habe Dad angebettelt, hierzubleiben. Aber es ist ja völlig egal, was ich
sage. Ihr hört einfach nicht zu.«
»Ich dachte, du würdest dich allmählich daran gewöhnen.« Sie
schlug die Hände auf ihre Schenkel. »Aber du versuchst es noch nicht
einmal.«
»Ich hasse es, hier leben zu müssen«, sagte ich genauso erbittert
wie sie. »In der Schule werde ich gedisst. Ist dir vielleicht aufgefallen,
dass ich vor Drake überhaupt keine Freunde hatte? Es ist nicht so,
dass ich mich einfach nur für Dad entschieden hatte. Ich wollte hier
weg und du hältst mich gefangen.« Ich spürte den tiefen Riss in mir
mehr als deutlich.
Meine Mutter richtete sich auf. »Deine Mitschüler dissen dich?«
Und in diesem Moment brach die Woge über mir zusammen. Ich
öffnete den Mund, wollte etwas sagen, und fing stattdessen zu wein-
en an.
Auf Lateinisch heißen Tränen lacrimae, was ich in einem Buch mit
dem Titel : Ebbe und Flut: Die Wasserwege im menschlichen Körper9
gelesen habe. Unsere Tränen werden von den Tränendrüsen gebildet,
und die Stelle im Auge, wo sie sich sammeln, heißt Tränensee. Der
Damm dieses Sees war gebrochen und der Fußboden in unserem
Wohnzimmer wurde überflutet. Ich schluchzte so heftig, dass ich
kaum noch atmen konnte. All der Schmerz, den mir Sandy und das
BUCH und Dads Auszug zugefügt hatten, war wieder so gegenwärtig,
als wäre alles gerade eben und nicht schon vor Monaten passiert.
Meine Mutter setzte sich zu mir auf die Couch, legte einen Arm um
mich und fing ebenfalls zu weinen an.
Nach einer Weile stand sie auf und holte eine Schachtel
Taschentücher vom Couchtisch. Dann strich sie mir die Haare aus
dem Gesicht.
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»Wirst du dich wieder mit Dad vertragen?«, fragte ich, während
ich mir die Nase putzte.
Sie sah mich lange an, schniefte leise. »Ich glaube nicht, mein
Maikäfer.«
Mein Herz ballte sich zusammen wie ein großes Knäuel Fäden. Ich
dachte an meinen Dad in Atlanta und daran, wie es wäre, bei ihm zu
leben.
»Du solltest ein bisschen schlafen«, sagte meine Mutter. »Die
Schule vergessen wir für heute.«
Ich nahm meinen Rucksack mit und ging in mein Zimmer.
»Er ist nicht mein Freund«, rief sie mir nach. »Simon ist einfach
ein Freund, der erste, den ich kennengelernt habe, seit ich wieder
Single bin.«
Dass man einen Freund braucht, das konnte ich nur zu gut
verstehen.
Bis ich schließlich im Bett lag, war es fast neun Uhr. Ich hatte nicht
einmal meine Klamotten ausgezogen. In der Schule lief in diesem Au-
genblick der Unterricht, als gäbe es auf der ganzen Welt nichts
Wichtigeres. Ich ließ meinen Kopf auf das Kissen sinken. Und schlief.
Ohne zu träumen.
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Bei Dunkelheit aufzuwachen ist ein komisches Gefühl. Im ersten Mo-
ment wusste ich überhaupt nicht, was los war. Wurde die Sonne vom
nuklearen Niederschlag einer Bombe verdunkelt, die detoniert war,
während ich geschlafen hatte? Oder war einfach Nacht? Die
Leuchtziffern meines Weckers zeigten 19 Uhr 34 an, wie an einem
ganz normalen Freitagabend im September.
Ich war noch nicht bereit, meiner Mutter wieder gegenüberzutre-
ten. Und so blieb ich noch eine Weile im Dunkeln liegen und fragte
mich, wie es wohl weitergehen würde. Ob mein Dad in Atlanta und
wir für immer in Hershey blieben? Ob Drake mit seinen Eltern nach
New York zurückfuhr? Was würde passieren, wenn ich wieder in die
Schule ging? Was, wenn mein Freund Drake eine supergute, aber
kurze Unterbrechung in meinem ansonsten einsamen Außenseiter-
leben blieb?
Irgendwann schälte ich mich aus meinem Bett und verließ mein
Zimmer. In der Küche holte meine Mom gerade eine selbst gemachte
Pizza aus dem Ofen und stellte sie zum Abkühlen auf ein Brett. Mein
Lieblingsessen.
»Ich wollte dich gerade rufen«, sagte sie, als sie mich in der Tür
stehen sah.
Der Tisch war mit Deckchen, Tellern und Gabeln gedeckt, der
Rechnungsstapel war weggeräumt. Mir wurde bewusst, dass es sehr
lange her war, seit wir uns das letzte Mal zum Abendessen zusammen
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an diesen Tisch gesetzt hatten. Aber die beiden Teller, statt der drei,
markierten eine Lücke.
»Danke, Mom«, sagte ich und merkte, wie die Tränen
zurückkamen.
»Ich habe mit Dad telefoniert, während du geschlafen hast«, sagte
sie. »Er wollte nicht, dass ich dich wecke. Du kannst ihm morgen
eine E-Mail schreiben, meinte er. Wir haben beschlossen, dass du die
nächsten beiden Wochen Hausarrest hast. Deinen Computer wirst du
nur einschalten, um Hausaufgaben zu machen und E-Mails an un-
sere Verwandten zu schicken. Und das ist schon ein mehr als freund-
liches Zugeständnis. Dein Dad wird nächstes Wochenende zu Besuch
kommen, dann können wir über alles reden, auch darüber, wo du
wohnen willst.«
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